Der Ursprung der vielfältigen Ansätze einer variablen Ventilbetätigung lässt sich bis in das Zeitalter der Dampfmaschinen zurückverfolgen. Im Automobilbau meldete Fiat als erster Hersteller in den späten 1960er Jahren ein Patent für eine variable Ventilsteuerung in konventionellen Verbrennungsmotoren an. Serienreife erlangte eine variable Nockenwellenverstellung erstmals 1980 im Alfa Romeo Spider 2000. Seit jenen Anfängen haben zahlreiche Automobilhersteller das Konzept einer variablen Ventilsteuerung aufgegriffen und in ihre Motorkonzeption eingebunden. Die mannigfaltigen Systemvarianten in der heutigen Motorentechnologie haben zu einem Wirrwarr von markenspezifischen Technik-Kürzel geführt.
In konventionellen Verbrennungsmotoren ohne variable Ventilsteuerung ist eine Verstellung der Nockenwellen nicht möglich, d.h. Ventilhub, Ventilöffnungsdauer und Steuerzeiten sind somit konstruktiv festgelegt. Wenn Kurbelwelle und Nockenwelle mittels Spezialwerkzeug und/oder Einstellmarkierungen aufeinander ausgerichtet sind, liegt der Phasenbezug fest und eine Verstellung der Steuerzeiten im Motorbetrieb ist ausgeschlossen.
Mit variablen Ventilsteuerzeiten hingegen bieten sich neue Möglichkeiten bei der Optimierung von Motorleistung, Kraftstoffverbrauch und Schadstoffreduzierung. In Abhängigkeit von Drehzahl, Motorlast und Betriebstemperatur lassen sich eine längere Ventilüberschneidung, ein größerer Ventilhub sowie flexible Ventilöffnungsdauern und Steuerzeiten realisieren, wodurch das Motorverhalten unter verschiedenen Lastzuständen und Betriebsbedingungen entscheidend verbessert wird.
So unterstützt z.B. eine Frühverstellung der Ventilsteuerzeiten die Gasannahme und die Drehmomententfaltung im unteren Drehzahlbereich. Im Lastbetrieb kann durch eine Verstellung in Richtung „spät“ eine Minderung der Schadstoffemissionen erzielt werden.
Bei Drehzahlen im oberen Bereich führt eine verlängerte Ventilöffnungsdauer zu einer Leistungssteigerung.
Für die variable Verstellung der Ventilsteuerzeiten werden von den Automobilherstellern heutzutage unterschiedliche technische Lösungen eingesetzt, jedoch basieren die meisten Systeme auf dem Funktionsprinzip der Phasenverstellung mittels eines Nockenwellenverstellers, der am Nockenwellenantriebsrad angeordnet ist. Die ersten Versionen beruhten auf einer einfachen Steuerung, bei der nur die Einlassnockenwelle verstellbar war. Diese sogenannten zweistufigen Punktversteller der Anfangsjahre erlaubten lediglich die Verstellung der Einlassnockenwelle in zwei vorgegebene Schaltstellungen, d.h. die Ansteuerung der Nockenwellenverstellung wurde bei einer festgelegten Motordrehzahl ein- bzw. abgeschaltet (z.B. Schwarz/weiß-Einlass-VANOS von BMW). Diese frühen Ausführungen basierten überwiegend auf einer mechanischen Steuerung mit einer federbelasteten Schrägverzahnung in der Verstellvorrichtung.
Bei modernen Phasenverstellungssystemen kommt je nach herstellerspezifischer Motorauslegung ein Einzelversteller (Einlasswelle) oder ein Doppelversteller (Einlass- und Auslasswelle) zum Einsatz, deren Aktivierung über eine elektronische Steuerung und eine hydraulische Betätigung erfolgt. Diese aufwändigeren Ausführungen erlauben eine stufenlose Steuerzeitenverstellung. Dabei wird die Winkellage der Nockenwellen durch Beaufschlagung eines Flügelzellenverstellers mit Motoröldruck variiert. Über ein von der Motorelektronik angesteuertes Magnetventil (Nockenwellenverstellaktuator) wird das Drucköl über Kanäle in den Ölraum des Flügelzellenverstellers geleitet und drückt dort gegen die Flügel des Innenrotors.
Der Vorteil einer stufenlosen Verstellung gegenüber der einfachen Zweipunktverstellung liegt in einer variablen Ventilsteuerzeitenanpassung über den gesamten Drehzahlbereich in Verbindung mit einer ingesamt sanfteren Verstellcharakteristik.
1 | Steuergehäuse |
2 | Nockenwelle |
3 | Ölkanal Spätverstellung |
4 | Ölrücklauf |
5 | Motoröldruck |
6 | Ölrücklauf |
7 | Nockenwellenverstellaktuator |
8 | Ölkanal Frühverstellung |
9 | Ölkammer Spätverstellung |
10 | Ölkammer Frühverstellung |
11 | Innenrotor |
12 | Außenrotor |
13 | Ringkanäle |
Einige Motorenhersteller, wie z.B. Honda mit dem VTEC-System, setzen auf eine Steuerzeitenverstellung mittels unterschiedlicher Nockenprofile auf der Einlass- und Auslassnockenwelle für die einzelnen Ventile (allerdings gab es diese Nockenprofilumschaltung anfänglich bei SOHC-Motoren nur einlassseitig). Dabei verbindet ein mit Öldruck beaufschlagter Sperrstift ab einer vorgegebenen Motordrehzal den Kipphebel für großen Ventilhub und längere Öffnungsdauer mit den nebenliegenden Kipphebel für geringen Ventilhub und kürzere Öffnungsdauer zu einer festen Einheit. Obwohl es sich bei dieser Art der Nockenwellenverstellung technisch betrachtet um einen zweistufigen Punktversteller ohne variable Verstellmöglichkeit handelt, erfreut sich dieses System aufgrund seines beträchtlichen Potenzials zur Steigerung der Motorleistung insbesondere in der Tuner-Szene großer Beliebtheit.
Die in neuen Fahrzeugen verbauten voll variablen Systeme werden zunehmend komplexer und kostenintensiver. Durch die Verbindung der Phasenverstellung mit einer Ventilhubumschaltung lassen sich Wirkungsgrad, Leistungsabgabe und Emissionswerte der modernen Motoren weiter optimieren.
Das Variocam Plus-System von Porsche setzt dieses Konzept erfolgreich um. Neben Verstellvorrichtungen an den Antriebsrädern der Einlassnockenwellen verfügen die Nockenwellen über zwei Nockenprofile und hydraulisch schaltbare Tassenstößel, die zweigeteilt in Form eines inneren Stößels und eines äußeren Stößelkranzes ausgeführt sind. Der innere Stößel läuft auf dem mittleren Nockenprofil ab und liefert einen kleineren Ventilhub und eine kürzere Öffnungsdauer. Für einen größeren Ventilhub werden der innere Stößel und der äußere Stößelkranz miteinander verbunden. Dies erfolgt durch im zweiteiligen Tassenstößel verschiebbar angeordnete Verriegelungsbolzen, die von einem elektronisch angesteuerten Regelventil mit Hydraulikdruck beaufschlagt und axial verschoben werden. Befindet sich der Schalt-Tassenstößel in verriegeltem Zustand übernehmen die äußeren Nockenprofile die Ventilsteuerung und schalten auf einen größeren Ventilhub und eine längere Öffnungsdauer um. Die Phasenverstellung der Nockenwellen und die Ventilhubumschaltung werden von der Motorelektronik getrennt gesteuert. Die wesentlichen Betriebsparameter für die Ansteuerung sind Motordrehzahl, Getriebegangwahl, Fahrpedalstellung, Motoröltemperatur und Kühlmitteltemperatur.
1 | Drehrichtung |
2 | Nockenwellenversteller |
3 | Frühverstellung |
4 | Spätverstellung |
5 | Einlassnockenwelle |
6 | Innerer Stößel |
7 | Tassenstößel (äußerer Stößelkranz) |
Bereits heute findet in den Twin Air-Motoren von Fiat eine voll variable Ventilsteuerung Anwendung, bei der ein nockengesteuertes Hydrauliksystem die Einlassventile über elektro-hydraulische Steuerkolben öffnet und schließt. Die Betätigung der Auslassventile erfolgt noch auf konventionelle Weise rein mechanisch über Nockenwelle und Tassenstößel.
In den vergangenen Jahren hat die Automobilindustrie die Entwicklung, Erprobung und Serientauglichkeit von Verbrennungsmotoren, die ohne Nockenwellen auskommen, vorangetrieben. Es ist also durchaus denkbar, dass künftige Motoren anstelle der konventionellen Ventiltriebe und den bekannten Ventilsteuerungslösungen mit völlig neuen Konzepten arbeiten.